Gelungene Gratwanderung: Todernstes Thema mit viel Humor vorgestellt
MEINERZHAGEN (mk) Tränen flossen höchstens vor Lachen: Als Dr. Verena Welschof am Freitag, 13. Dezember, mit ihrer Freundin Gisela Steinhauer ihr gemeinsames Buch vorstellte, gab es in der Meinerzhagener Jesus-Christus-Kirche eine große Bandbreite an Emotionen. Nur offene Traurigkeit war kaum dabei. Wohl aber mancher Kloß im Hals, wenn die Medizinerin ihr eigenes Leben resümiert, wozu ihre tödliche Krebserkrankung den Anlass gab. Doch weder Verbitterung noch ein Appell zu lückenlosen Vorsorgeuntersuchungen standen bei der Lesung aus dem Buch “Ich bin noch nicht weg” im Vordergrund. Wohl aber ein Konzept und Anregungen, wie man solche Schicksalsschläge verkraftet und die Zeit, die einem noch bleibt, sinnvoll nutzt.
Im Kirchenschiff waren alle Bänke voll, auch auf der Empore saßen noch Besucher. Sicher waren viele Freunde, Bekannte und Weggefährten zur Vorlesung gekommen, doch nicht wenige “Fremde” ließen sich vom Thema anlocken. Das zeichnete sich bereits am Nachmittag ab, wo Verena Welschof mit ihrer Freundin und Co-Autorin zum “Meet & Greet” in der Buchhandlung Schmitz eingeladen hatten. “Du bist ja hier bekannt wie ein bunter Hund”, betonte Gisela Steinhauer zu Beginn der Lesung nochmal. Dabei werden auch bei ihrem Namen vielen Menschen in der Region aufhorchen: Die Journalistin ist durch ihre langjährige Arbeit beim WDR Hörfunk sehr präsent, und mit Radio-Formaten wie den “Sonntagsfragen” prädestiniert für den Umgang mit sensiblen Themen. Was Gisela Steinhauer nicht davon abhielt, schonungslos zu erläutern, wie sie in Welschofs Elternhaus “den Flokati vollgereihert” habe.
Nun gut, die Damen sind seit ihren Kindheitstagen in Aachen eng befreundet, und die ersten Erfahrungen mit Alkohol können bekanntlich prägend sein. Für einen Kalauer, über den man Jahrzehnte später herzhaft lachen kann, sind solche Episoden allemal gut. Natürlich wurde — wie so oft im Leben — der Kontakt zwischen den Freundinnen auch mal weniger intensiv, aber die Verbundenheit blieb. So war Gisela Steinhauer einer der ersten Menschen, die von Verena Welschofs niederschmetternder Krebsdiagnose erfuhr.
Aus der ganzen Geschichte ein Buch zu machen ist wohl auch die Idee der Autorin gewesen, die sich selbstironisch einen “Hang zum Weltverbessern und Besserwissen” zuschreibt. Ein Projekt, dass natürlich unter einem gewissen Zeitdruck stand: Die furchtbare Prognose, die Welschofs befreundeter Arzt nach dem Auffinden des Pankreaskarzinoms stellte, traf zum Glück nicht so schnell ein. Palliative Chemotherapien schlugen erstaunlich gut an, und Verena Welschof bekam unerwartet Lebenszeit geschenkt. Darüber sind natürlich auch ihr Ehemann Klaus und ihre gesamtes Umfeld sehr froh. So wurde die Hochzeit ihres Sohnes und dessen Braut zum Meilenstein. Immerhin wurde in Griechenland geheiratet, was einerseits sehr reizvoll, andererseits auch mit Reisestrapazen verbunden war.
Wer die beiden Damen bei der Lesung in der Kirche erlebte, empfand die sachlichen, schonungslosen Schilderungen über Welschofs Gesundheitszustand möglicherweise als etwas surreal: Da saß eine Frau, die ohne eine Mine zu verziehen, über ihr tragisches Schicksal berichtet. Die auch nicht die Episoden auslässt, in denen es ihr richtig schlecht geht. Doch umso plausibler wurden dadurch ihre mutmachenden Botschaften: “Ich habe viele gute Dinge erfahren”, bekräftigt Welschof. Die Biografie ist auch ein großer Dank an ihr Umfeld. An die Familie, aber auch an Freunde oder Nachbarn, die sie mit Blumensträußen, selbstgekochten Suppen oder dem frischen, selbstgezüchteten Salat aus dem Hochbeet verwöhnten. Die Protagonistin, die sich im Buch den Namen Jule gab, sah sich nach der Diagnose in einem “völlig anderen Film”, war plötzlich in der “Welt der Blutabnahme” und in einer Lage, in der Äußerlichkeiten keinen Rolle mehr spielten. Bis zu dem Zeitpunkt, als dank der modernen Medizin plötzlich die Chemotherapien anschlugen, das Leben verlängerten und Lebensqualität schenkten.
Die Zuhörerinnen und Zuhörer lauschten andächtig, als die Buchautorinnen Gisela Steinhauer (im Buch mit dem Pseudonym Paula verewigt) und Verena Welschof die Frage aufwarfen, wie man mit einem Menschen umgehen soll, der erfahren hat, dass er bald sterben wird. Die Betroffene macht es ihrem Umfeld zweifellos so leicht, wie es eben geht. Ob das eine Frage von Haltung ist, oder von eine gewissen Abgeklärtheit kommt, die sie als Medizinerin vielleicht in ihrem Beruf mitbekam, wird nicht ganz klar. Klassischer Galgenhumor lockert die Situation jedenfalls auf. Damit sparten die beiden Damen nicht. Welschof stellte die rhetorische Frage , ob sie nach den typischen Folgen der Chemo “ihr Verfallsdatum auf dem Kopf tragen solle” und berichtete von der Suche nach der “Zweitfrisur”, bei der ihr Mann, der an dieser Stelle als “Modemuffel” geoutet wurde, sich vor Lachen gebogen habe.
Das Buch und besonders die Lesungen waren eindeutig eine Gratwanderung. Natürlich kann ein Mensch nicht über seine definitiv tödliche Krankheit sprechen, ohne eine gewisse Betroffenheit auszulösen. Mitgefühl war bei manchem Anwesenden zu spüren, überwiegend aber ehrlicher Respekt davor, sich in dieser Lage in die Öffentlichkeit zu begeben. Wer Verena Welschof kennt, weiß, dass sie mit dem Projekt “Klasse 2000” oder dem ChorCantamus sowieso ständig in der Öffentlichkeit steht. Die wenigsten Menschen in ähnlicher Lage lassen sich unter den Zugzwang stellen, über ihr Schicksal derart offen zu sprechen. Ob es für Verena Welschof eine Art der Bewältigung ist, darf man sicher spekulieren. Doch sie und ihre Mit-Autorin Gisela Steinhauer machen glaubhaft, dass die Erlebnisse und Erfahrungen es wert sind, hautnah geschildert zu werden. Mit viel Zuversicht und Humor. Dieses Ziel haben die beiden Freundinnen eindeutig erreicht. Und so gingen etliche Besucher an diesem Abend mit einem der Bücher nach Hause, denn schließlich diente die Lesung ja auch dazu, Neugier auf das Buch zu wecken. Auch das ist gelungen. Dass die Lesung auf Freitag, den 13. terminiert wurde, war wohl doch eher Zufall, allerdings einer, der die beiden Autorinnen nach eigenem Bekunden nur bestärkt habe. Dickes Lob gab es übrigens noch während der Lesung, als sich zwei Damen mit eigenen Krebs-Erfahrungen zu Wort meldeten. Wie sich das für einen gelungenen Bühnenauftritt gehört, gab es am Schluss einen Menge Applaus und ein das obligatorische Glas Sekt, während die beiden Autorinnen ihre Bücher signierten.
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