21. November 2024
Kierspe

Geplanter Kirchenverkauf erhitzt Gemüter

KIERSPE (mk) Darüber, dass diese Gemeindeversammlung keine gewöhnliche wird, machte sich wohl niemand Illusionen. Besonders auch Pastor George Freiwat nicht, der sich unter normalen Umständen sicher über soviel Zulauf freuen würde. Dass fast jeder Platz besetzt ist, ist in den drei Kirchen der evangelischen Gemeinde abseits von Ostern und Weihnachten auch nicht alltäglich. In dieser Hinsicht geht es in Kierspe nicht anders zu, als in anderen Gegenden landauf, landab. Kurzum: Auch in Kierspe lassen die sinkenden Zahlen der Kirchenmitglieder keinen Erhalt aller Liegenschaften zu. Ein Fakt, den die Gemeindeleitung zähneknirschend akzeptieren muss. Die Konsequenz: Die Christuskirche samt angrenzender Gebäude soll verkauft werden. Ein Plan, mit dem die Menschen in Kierspe offensichtlich überhaupt nicht einverstanden sind.

Keine Frage: Die Lage ist für die Gemeindeleitung wirklich undankbar. Die Servatiuskirche als Anlaufstelle für Gläubige aus Rönsahl oder die Margarethenkirche als Wahrzeichen von Kierspe aufzugeben, erscheint undenkbar. Keine der drei Kirchen erscheint verzichtbar. Dass nun ausgerechnet die im Ortsteil Bahnhof gebaute Christuskirche vakant werden soll, ist aber nach Darstellung von George Freiwat eher Zufall: “Das Christliche Gemeindezentrum Halver möchte die Kirche mit Gemeindehaus und Kindergarten übernehmen”, erklärt der Pastor. Für ihn ein Glücksfall, aber auch noch keinesfalls in trockenen Tüchern: “Vielleicht wird denen das mit dem Denkmalschutz doch noch zu heiss”, so Freiwat. Als Stichtag für die Übernahme wird der 1. August 2026 avisiert. Ein Glücksfall insofern, weil er — und auch das Presbyterium — sich darüber freuen würde, dass das Gebäude weiter als christliches Gotteshaus genutzt würde. Dass es dazu dennoch entwidmet werden müsste, ist allenfalls eine Randnotiz wert.

Monika Baukloh stellte die Frage in den Raum, warum es andere Träger schaffen würden, Kindergärten rentabel zu betreiben.
Bürgermeister Olaf Stelse konnte einen Einwand zur Kita-Förderung korrigieren. Fotos: Markus Klümper

Die Gemeinde empfindet den Plan allerdings überhaupt nicht als glücklich. Das kristallisierte sich bereits vor Beginn der Gemeindeversammlung am Sonntag, 29. September in der Margarethenkirche, heraus. Auch dass es mehr als nur eine Frage von Wermutstropfen ist, weil ausgerechnet die Kirche betroffen ist, mit der vielleicht der eigene Lebensweg als Christ verbunden ist. Zum Zankapfel entwickelt sich nämlich der Kindergarten. Der würde nahtlos weitergeführt, erklären Pastor und Presbyterium. Eine Lösung, die von den Besuchern der Gemeindeversammlung zwar nicht rundweg abgelehnt, aber deren Tragfähigkeit in Frage gestellt wird. Monika Baukloh, die ausdrücklich nicht als stellvertretende Bürgermeisterin, sondern als sehr engagiertes Gemeindemitglied teilnahm, warf eine Frage in den Raum, mit der sie offenbar den Nerv traf: “Warum schafft es eine Kirche nicht, einen Kindergarten wirtschaftlich zu betreiben, wenn freie Träger dies hinbekommen?” Die Antwort hatte Pastor Freiwat parat: “Die evangelischen und auch die katholische Kirche werden als reich eingestuft, daher müssen wir 10,5 % der Kosten als Trägeranteil aufbringen”, so der Geistliche. Bei den freien Trägern seien es gerade mal 3,5%.

Generell sei die Finanzierung unabhängig von dem tatsächlichen Gebäudebedarf in anderen Konfessionen wohl einfacher. Auch die baptistischen Gemeinden der Region werden gerne als Vorbild vergleichen, so würden die doch große und moderne Gebäude realisieren. Auch dazu kam postwendend die Erklärung: “Diese Gemeinden finanzieren sich nicht durch Kirchensteuer, sondern durch den zehnten Teil ihrer Einkommen, den die Gemeindemitglieder freiwillig bezahlen würden.” Aus dem Presbyterium kam auch der Hinweis auf die enorme Eigenleistung in diesen Gemeinden: “Die hatten in Meinerzhagen vier Bautrupps mit jeweils 25 Leuten, die richtig in die Hände gespuckt haben”

Die Kirche war zur Gemeindeversammlung gut gefüllt.

Bei dem wirtschaftlichen Szenario, dass sich bei der Gemeindeversammlung abzeichnete, kann einem Angst und Bange werden. 910.000 Euro weist ein Gutachten über den Umfang nötiger Sanierungsarbeiten an der Servatiuskirche aus, für die Margarethenkirche sind sogar 1,65 Millionen Euro zur Instandhaltung nötig. Zahlen, die den Gemeindemitgliedern fast im Hals stecken bleiben. Unabhängig von der Lebenserfahrung, dass Baukosten selten im geplanten Rahmen bleiben. Für die Christuskirche liegt nach Freiwats Angaben noch keine Einschätzung vor, aber auch hier sei von erheblichen Kosten auszugehen. Für den Kindergarten “Villa Regenbogen” mit seinen rund 70 Betreuungsplätzen sieht er einen erheblichen Sanierungsstau. Für die Kita am Büscherweg gilt das im Prinzip auch, auch sie wäre aus diesem Grund ein potentieller Verkaufskandidat. Auch die laufendem Kosten der Trägerschaft seien ein wesentliches Problem, zumindest auf Dauer.

Gründe für ein Abstoßen einer Kindertagesstätte wurden einige genannt, hinsichtlich der Konsquenzen sieht die Gemeindeleitung die Lage aber rosiger als die Betroffenen, die keineswegs an eine nahtlose Weiterführung glauben. Eltern wiesen auf das eingespielte Team von Erziehern hin, von denen zwar niemand arbeitslos werden müsse, doch Jobgarantien sind auch nur ein schwacher Trost. Zu diffus scheint ohnehin zu sein, was die christliche Gemeinde aus Halver mit dem Objekt vorhat. Deutlich wurde bei der Versammlung am Sonntag, dass man sich in der Gemeinde regelrecht vor vollendete Tatsachen gestellt sieht. So würde die Gemeinde um ihre Zustimmung gebeten, aber der Verkauf sei offenbar beschlossene Sache, so der Tenor. Daraus machte Pastor Freiwat keinen Hehl, wies aber auf einige Unwägbarkeiten hin.

Erhoffte Transparenz stellte sich nicht ein. Aus dem Presbyterium wurden Stimmen laut, dass ein etwaiger Verkaufserlös erstmal nicht genannt werden solle. Freiwat gab allerdings dem Druck der Gemeinde nach und nannte nach anfänglichem Zögern einen Betrag von 360.000 Euro, “der uns selbst schockiert hat”. Dabei handelt es sich aber mitnichten um die konkrete Verhandlungsbasis für den Verkauf, sondern um den durch einen Gutachter ermittelte Immobilienwert. “Damit sind wir im Vergleich wohl noch gut bedient”, so Freiwat, denn nach Einschätzung des Kreiskirchenamtes würden Gutachten über ähnliche Objekte woanders noch deutlich niedriger ausfallen. Angesichts der laufenden Kosten und der nötigen Investitionen ist das aber noch nicht der tatsächliche Kaufpreis, denn der würde noch garnicht feststehen. Freiwat räumte ein, dass er das Anwesen sogar für den symbolischen Betrag von einem Euro abgeben würde. Bei dem allerdings das Grundstück nur per Erbpacht vergeben würde, da die Kirchen bislang per Gesetz kein Grund und Boden verkaufen.

Der Gebäudebestand muss auf Dauer erheblich reduziert werden.

Klar wurden nach der Gemeindeversammlung nur zwei Dinge: Die Lust auf das Singen eines gemeinsamen Liedes zum Abschluss der Versammlung ist den Teilnehmern vergangen, und in der Sache ist man kaum einen Millimeter vorangekommen. Deutlich wurde allerdings die Zwickmühle, in der die Gemeindeleitung steckt. Recht kann sie es niemandem machen, und tatsächlich ist die Vorstellung, das Anwesen würde nahtlos als christliches Gotteshaus samt Kindergarten weitergeführt, durchaus verlockend. Doch der Weg bis dorthin ist mehr als steinig. Die weitere Unterbringung des Gemeindebüros dürfte dabei noch das kleinste Problem sein. Angedacht wurden offenbar schon viele Möglichkeiten. Selbst eine “zivile” Nutzung der Kirche als Eventlocation findet Pastor Freiwat durchaus diskutabel, sieht aber den resultierenden Personalbedarf als nicht leistbar: “Wir müssten dazu jemanden zur Verwaltung einstellen”, erklärt er im Gespräch mit MEIN KIERSPE. Noch viele Aspekte sind weiterzudiskutieren, zumal es bei diesem Verkauf nicht bleiben würde: Die Hälfte der Gebäude muss mittelfristig weg, lautete die klare Ansage. Freiwat, der am Schluss der Veranstaltung nach eigenem Bekunden “fix und fertig” war, war auf viele Argumente gut vorbereitet. Ebenso wie der ebenfalls anwesende Olaf Stelse, der sich plötzlich mit dem Vorwurf konfrontiert sah, dass die Stadt Kierspe die Träger der Kindergärten als einzige Kommune in der Region nicht unterstützen würde. Der Bürgermeister konnte Paroli bieten und wies auf den jährlichen Betrag von 100.000 Euro hin, der an die Kita-Betreiber fließt. Viel Geld für Kierspe, aber angesichts der Dimensionen für die evangelische Gemeinde nur ein Mosaikstein zur Lösung. Etliche Anregungen und Impulse ergaben sich in der Versammlung, vielleicht erweist sich die eine oder andere Idee als ausbaufähig. Die Kuh ist nämlich noch lange nicht vom Eis, sondern weit von jedem rettenden Ufer entfernt.

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