Hitzige Debatte um Windkraft-Statistiken im Ratssaal
Sehr viele Meinungen über Windkraft in Bad Berleburg und Spekulationen zu Stromausfällen im Westerwald kamen am Dienstagabend im Kiersper Rathaus auf den Tisch. Leider nur wenige diskussionswürdige Bedenken zum geplanten Bau der beiden neuen Windräder nahe der Kerspe-Talsperre. Dabei hatten die Gastgeber, die Freien Wähler, durchaus Punkte, über die bei einem solchen Projekt in einem Wasserschutzgebiet gesprochen werden muss. Für die blieb am Ende aber zuwenig Zeit, nachdem sich Gastredner Mario Buchner zuvor sehr intensiv den Energie-Konzepten der größten deutschen Parteien widmete.
KIERSPE (mk) Ob die Kiersper FWG ein glückliches Händchen bei der Auswahl ihres Gastredners hatte, dürfte genauso kontrovers diskutiert werden, wie zuvor einige Zahlen und Statistiken, die der Energiewirtschaftsberater des Bundesverband der gewerblichen Energienutzer (BVGE e.V.) den Zuhörern erläuterte. Diese sollten vermitteln, dass Windkraft von vorne bis hinten unsinnig sei. Das gelang nur mäßig. Während die FWG Kierspe grundsätzlich regenerative Energien befürwortet, aber diese eben nur für bereits versiegelte Flächen und nicht für neue Windräder oder Photovoltaik in der freien Natur, ging Mario Buchner einige Schritte weiter.

Woher der Wind an diesem Abend wehte, war schnell auszumachen. Dabei versprach Buchner zunächst eine “ergebnisoffene Diskussion”, obgleich sein Vortrag “Windräder — Bedrohung für Umwelt und Gesundheit” schon eine gewisse Marschrichtung vorgab. Erstes Raunen im Publikum, in dem neben heimischen FWG-Mitgliedern und dem BVGE-Gefolge auch interessierte Kiersper Bürger saßen, verursachte ein Nebensatz des Wahl-Westerwälders, Zunächst förderte Buchner den Eindruck, Mediziner zu sein, zumindest versteht er sich als Mann der Wissenschaft. Ein Blick in seine Biographie vermeidet aber Missverständnisse: Mario Buchner war im Rettungswesen tätig und arbeitete als Pharmareferent. Sicher ein Mann mit viel Erfahrung im Gesundheitswesen, zu seinem Auftritt mit wissenschaftlichem Habitus passt der Lebenslauf allerdings nicht ganz. Formell korrekt stellte er sich als jemand vor, “der aus der Medizin und Pharmazie kommt”. Und stellte rhetorisch durchaus geschickt die Frage in den Raum, ob es sich dabei um Wissenschaften handele. Wohl eine geschickte Ablenkung von der Frage nach seiner fachlichen Herkunft.
Das machte er so überzeugend, dass erst der bereits erwähnte Nebensatz beim Publikum massiven Gegenwind erzeugte: “Wenn Sie glauben, CO2 sei der Klimatreiber Nummer 1…”, begann Buchner einen Satz seines Vortrages, der aufhorchen ließ, und erste Wortmeldungen aus dem Publikum provozierte. Nur knapp schrammte Buchner am Leugnen des menschengemachten Klimawandels vorbei.
Ein großer Teil der Präsentation war den Wahlprogrammen der größten Parteien gewidmet. Die bekamen im Grunde alle ihr Fett weg: Auch Buchners frühere politische Heimat AfD, für die er nach zahlreichen übereinstimmenden Medienberichten in Bayern Vorstand eines Kreisverbands war. Eine Partei wurde in der Auflistung “übersprungen”, da diese nach Buchners Überzeugung “beim nächsten Mal eh nicht mehr dabei” sei. Dafür könne man aber die FWG wählen. Doch auch mit deren Haltung zu regenerativen Energien konnte sich der Dozent nicht ganz identifizieren.

Zwischen verschiedenen Tabellen, die allesamt die Unsinnigkeit der Windkraft belegen sollen, streute Buchner die Atomkraft als Alternative ein. Dass für die bestehenden, aber abgeschalteten AKW in Deutschland aber wohl endgültig Feierabend ist, stellte er durchaus plausibel dar. Auch eine angesprochene Nachfolgetechnologie ist tatsächlich beachtenswert und könnten Atomkraftgegnern manche Befürchtung nehmen: “In Ruanda gibt es demnächst Reaktoren, die sind so groß wie ein Kühlschrank”, berichtet der Westerwälder aus seiner Welt der Wissenschaft. Sogar eine Abhandlung vom Bundesamt für Sicherheit in der nuklearen Entsorgung zu diesem Reaktor-Typ klingt im ersten Moment vielversprechend, doch der Pferdefuß kommt dort zum Schluss: Obgleich der Deal mit dem dem afrikanischen Staat offenbar real ist, befindet sich das Projekt noch in einem sehr frühen Stadium. Im Jahre 2026 sollen erste Versuchsaufbauten in Betrieb genommen werden, um einzelne Funktionsprinzipen weiter zu erforschen. Das kommuniziert auch das beteiligte Unternehmen Dual Fluid mit Firmensitz in Canada offen, für das wohl zahlreiche Wissenschaftlern der TU Berlin an dem neuen System arbeiten.
Selbst wenn es am Ende realisiert würde, wäre das keine Lösung für die Energieprobleme der nächsten 10 bis 15 Jahre. In Anlehnung an die für Kierspe seit Jahrzehnten geplante Umgehungsstraße könnte man das Teil auch “Lauseberg-Reaktor” nennen. Quellen wollte oder konnte Buchner nicht spontan nennen, versprach aber, diese nachzureichen. Weitaus relevanter könnten die wortreichen Ausführungen der Windkraft-Gegner Marion und Horst Günther Linde sein. Hierbei handelt es sich um Politiker der UWG, die aber anders als in der Raukstadt quasi eine verwandte Organisation der FWG darstellt. Jedenfalls erfuhren die Zuhörer einiges über blaublütige Großgrundbesitzer in Bad Berleburg, aber auch über den Wertverlust von Häusern, deren Besitzern quasi ein Windrad vor die Nase gesetzt wird. “27% Wertverlust für die Immobilen nahe der Windräder”, bezifferte Horst Günther Linde den Abschlag. Auch für diese Zahl konnte ad hoc keine Quelle genannt werden. Tatsächlich beziehen sich Medienberichte zu diesem Aspekt auf eine aktuelle Studie, die durchschnittlich von etwa einem Drittel der genannten Zahl ausgeht, knapp über acht Prozent. Allerdings sollen Einzelfällen durchaus bis zu 23% Wertverlust eingetreten sein. Betroffen seien besonders ältere Häuser in ländlichen Umgebungen, was für das Sauer- und Siegerland sowie den Westerwald keineswegs unrealistisch ist. Auch sind acht Prozent kein Pappenstiel, und können je nach Gebäude schnell den Gegenwert eines neuen Autos ausmachen.
Während der gesamte Vortrag als auch die anschließende Diskussion seitens Mario Buchner bei aufmerksamen Zuhörern Zweifel weckte und streckenweise polemisch bis populistisch wirkte, kamen die Fragen zum geplanten Neubau in Kierspe völlig unter die Räder. Zunächst hatte Buchner, der auf Nachfragen zu Quellen immer wieder mit Gegenfragen antwortete, auch versäumt klarzustellen, was für eine Institution er vertritt. Bei dem BVGE e.V. handelt es sich um einen Verein, der nach eigener Darstellung einer gleichnamigen Consulting Gesellschaft vorsteht, die Beratungs- und Dienstleistungen im Bereich des Energieeinkaufs anbietet. Der Gedanke, dass hier Lobbyarbeit gemacht wird, liegt nahe. Anstatt darauf so transparent hinzuweisen, wie es der BVGE e.V. selbst auf seiner eigenen Website tut, verstrickte sich der gelernte Krankenpfleger in Spekulationen um die Ursache eines Stromausfalls, der an Neujahr tatsächlich für rund sieben Stunden seinen Wohnort Bad Marienberg lahmlegte. Die offizielle Erklärung, eine wetterbedingte Störung im Leitungsnetz, klingt konträr zu der Unterstellung Buchners, der andeutete, dass wohl aufgrund des Energiebedarfs anderorts der industriearme Westerwald mutwillig vom Strom getrennt worden sei.
Zugegebenermaßen geschickt verwendete der Sprecher ein Framing, bei dem er den aktuellen Marktanteil der Windkraft in der Energiewirtschaft herunterspielte. So wurde immer wieder die Ausbeute der Windräder von rund 18,2% genannt und dies als Wirkungsgrad dargestellt. Ungeachtet der Tatsache, dass dies nicht der elektrotechnische Wirkungsgrad ist, sondern die Auslastung. Die Nennleistung der Anlagen muss sich selbstverständlich an den Höchstlasten mit maximalem Wind richten. Obgleich Buchner die technischen Zusammenhänge nie falsch, aber verschleiernd darstellte, kam nicht zur Sprache, dass aktuell zwischen etwa 33 und 39% des deutschen Energiebedarfs bereits durch Windenergie gedeckt wird.
Dem Gastgeber und der Energiewirtschaft hat Buchner letztlich einen Bärendienst erwiesen. Während er vor “Horrorszenarien” warnte, hat er genau diese verbreitet. Vor allem aber die Informationen aufgebauscht, die niemand seriös bestreitet. Selbstverständlich ist es eine Herausforderung, sämtliche Spitzenlasten abzudecken, Windstille und Dunkelflauten sind keine Erfindung der Windkraftgegner. Dass im Energiemix weiterhin konventionelle Kraftwerke, insbesondere flexible Gaskraftwerke, benötigt werden, steht wohl außer Frage. Genauso gibt es Akkuspeicher, die in verschiedensten Bauformen überschüssige Energie tanken und damit Lastspitzen abfedern. Diese Erfindung ist wirklich nicht neu, viele Hausbesitzer haben ihre Photovoltaik bereits damit ausgestattet. Die rasanten Fortschritte bei den Akku-Technologien tun ihr Übriges, die Zellen werden in der keineswegs unkritischen Herstellung auch immer umweltverträglicher.
Nicht in der Tiefe thematisiert wurde das Bauprojekt in Kierspe. Das ist bitter für den Gastgeber, denn die Frage, ob beispielsweise der typische Schmiermittel-Verlust an Windrädern wirklich so irrelevant in einem Wasserschutzgebiet ist, blieb nun völlig offen. Kurios ist, dass ausgerechnet ein Namensvetter des FWG-Vorsitzenden einen Lösung erfunden hat, die die Gefahren zumindest eindämmen kann. Nach übereinstimmenden Medienberichten hat ein Christian Schröder bereits vor fast zehn Jahren eine Art Kragen entwickelt, mit dem Windräder relativ leicht gegen herunterfließendes Öl gesichert werden können. Ob das auch für die beiden geplanten Exemplare in Kierspe angedacht ist, wäre zu erörtern. Dieser Informationsabend hat jedenfalls mehr Fragen als Antworten gebracht. Doch vielleicht war genau das auch so gewünscht.